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Fühlen und Gedächtnis gehören zusammen

Fühlen ist ein Resultat des bewussten Geistes. Gedächtnis ist das Nachbarland. Man kann aber das Gedächtnis nicht verstehen, wenn man nicht versteht, wie das Fühlen dazu beiträgt, dass Erinnerung funktioniert. David Gelernter erklärt: „Während ein Aspekt vieler Erinnerungen eine Abstraktion liefert, können alle Aspekte einer Erinnerung ein Gefühl liefern.“ Manche Erlebnisse sind kompakt und einfach. Andere haben viele Teile. Der Unterschied liegt vor allem darin, wie man jedes Ereignis erleben will und mit welchem Tempo man sich bewegt. Ein Gefühl oder eine Stimmung ist die Zusammenfassung einer Szene, die einen oder mehrere Aspekte vieler Erinnerungen komprimiert. Eine solche Gefühlszusammenfassung kann wie der Köder an einem Haken sein, mit dem man aus dem tiefen Ozean seines Gedächtnisses eine bestimmte Erinnerung herausfischt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

Erinnerungen benötigen einen Ausgangspunkt

Man kann eine Erinnerung nicht abrufen, wenn man nicht von irgendetwas ausgeht. Irgendetwas muss einen Menschen dorthin führen – ein Anhaltspunkt, ein Fragment der Szene, eine Assoziation. Bei geringer Konzentration führen Zusammenfassungen von Gefühlen zu Erinnerung, die ansonsten verloren gegangen wären. Ohne die Gefühle als Köder gäbe es keinen Weg, sie wiederzufinden. Die Tatsache, dass Gefühle eine Rolle als Zusammenfassungen oder Abstraktionen spielen, ist für David Gelernter eine tiefgreifende, grundlegende Erkenntnis über den Geist.

Man kann einen Menschen ansehen und sich daran erinnern, dass man ihm zuvor schon einmal begegnet ist. Man kann an einen Ort reisen und sich an Dinge erinnern, die man mit diesem Ort assoziiert. Der Geist hat die Fähigkeit, aus vielen Elementen einer Erinnerung eine einzige, zusammenfassende Stimmung herauszudestillieren – genau wie er ein Element vieler Erinnerungen auf eine Matrize oder Abstraktion reduzieren kann. Alle Details eines Ortes erzeugen gemeinsam ein bestimmtes Ambiente, eine Stimmung oder ein Gefühl.

Rückgriffe auf das Gedächtnis sind ein Teil des Denkens

David Gelernter stellt fest: „Und mit diesem Gefühl als Suchschlüssel können wir andere Erinnerungen finden, die mit der gleichen Stimmung markiert sind.“ Bewusstsein kann destillieren und synthetisierend: Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten des Geistes und ein zentraler Aspekt von Gedächtnis und Erinnerung. Bewusster Geist und Gedächtnis haben jeweils eigene Funktionen, aber für die Funktionsfähigkeit des Ganzen ist entscheidend, wie sie zusammenwirken. Wenn man denkt, taucht man immerzu in Erinnerungen ein.

Rückgriffe auf das Gedächtnis sind ein Teil des Denkens. Zwischen Wahrnehmung und Erinnerungsvermögen findet ein ständiger Austausch statt. Heute sind die meisten Forscher generell davon überzeugt, dass die Wahrnehmung äußerer Reize ohne einen gewissen Abgleich dieser Reize mit Inhalten des Langzeitgedächtnisses nicht effizient funktionieren könnte. Ein äußeres Ereignis oder ein Gedanke kann als „Erinnerungsstichwort“ dienen und dafür sorgen, dass man sich an einen Ort, ein Ereignis oder einen Menschen erinnert. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies

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